Sie steht vor mir und lacht, lacht mit glockenheller Stimme; es ist ein herzliches, den ganzen Körper umfassendes Lachen, wie man es fast nur von Kindern hört. Meine Kommilitonin, mit der ich mich dreimal wöchentlich zur Privat-AG zur Examensvorbereitung treffe, nennen wir sie der Einfachheit halber Ilina. Ilina ist so ein liebes, aber total pragmatisches Mädchen. Als sie mich fragte, ob wir am 31.10. trotz des gesetzlichen Feiertags AG machen wollten, das sei doch so ein wichtiger christlicher Feiertag, konnte ich ihr einfach antworten: "Das ist ein evangelischer Feiertag, ich bin katholisch, von mir aus können wir arbeiten." Ihre Antwort war: "OK, ich bin orthodox [Ilinas Vater ist Bulgare], wir brauchen keinen Reformationstag." Und nun steht sie vor mir und schüttelt sich vor Lachen, ihre beinahe gesäßlangen Haare schwingen elegant dabei. Was war passiert? Eigentlich gar nichts. Wir hatten uns nur über Klamotten unterhalten, über meine Jacke, um genau zu sein. Die hat nämlich eine herbst-ungünstige helle Farbe, und irgendwo hab ich schon wieder einen Fleck entdeckt, nachdem sie erst letzte Woche in der Waschmaschine war. Und dann meinte ich: "Ich hab zwar auch noch eine dunkle Jacke, aber die ist erst letztes Jahr gekauft; das ist meine Sonntagsjacke. Die werd ich erst dann alltags mit anziehen, wenn diese hier nicht mehr gut ist und ich wieder eine neue kaufe. So mach ich das meistens: Die neuen Sachen sind zuerst für Sonntag, und später werden sie dann zur Alltagskleidung degradiert." Darüber lacht Ilina. Und dann sagt sie zu mir: "Weißt Du, Amica, das ist das, was ich an Dir so mag: Dass Du eigentlich total modern bist und zwischendurch dann aber immer wieder so traditionell, so konservativ wie vor 100 Jahren. Ich find das so lustig!"
Äh. Ja. OK. Meine Antwort kann eigentlich nichts anderes sein als ein Bibelzitat: "Prüfet alles, das Gute behaltet!" (1 Thess 5,21) - aber auch das überrascht Ilina nicht mehr. Bibelzitate zu allen möglichen und unmöglichen Anlässen kennt man von mir ja. Naja, so bin ich halt. Gut zu wissen, dass es Leute gibt, die mich so mögen.
Wenn Herbst ein Zustand ist
vor 5 Stunden
1 Kommentar:
Liebe Amica,
ich freue mich aufrichtig über Deine Freundschaften und die Menschen, die Dir versichern, wie sehr sie Dich mögen, vielleicht sogar bewundern. Ich wünsche Dir allerdings noch etwas mehr Gelassenheit und Freude am Genuss in den alltägliche Dingen des Lebens. Dazu gehören sogar so profane Dinge wie die Sonntagssachen, eigentlich nur "FÜR GUT", auch mal im Alltag zu tragen, mal etwas Besonderes wagen und Fraulichkeit, sogar Sinnlichkeit zu empfinden. Ich, übrigens Katholikin, sehe darin in gar keiner Weise eine Diskrepanz in meinem Glaubensverständnis, sondern genieße mein Frausein, was sich auch im Kleidungsstil ausdrückt, jeden Tag.
Deine Unterteilungen in katholisch, evangelisch, orthodox empfinde ich als starr und kategorisch. Wir alle glauben an den Einen Gott, der uns alle gleichermaßen liebt.
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