Freitag, 21. März 2008

Psalm in meinem Leben IV

Psalm 22

Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen,
Das Wort des Tages - und meiner gesamten letzten Woche. Seit ich letzte Woche beim Jugendkreuzweg zum ersten Mal die Lesung aus dem Markusevangelium selbst laut vorlas, in der Jesus diese Worte spricht, haben sie mich nicht losgelassen. Ich rufe sie mit Jesus und mit allen, die diesen Psalm jemals aus tiefstem Herzen gebetet haben. Bei allem Rufen und Klagen ist mir schon zu Beginn des Psalms eines wichtig: Es ist immer noch mein Gott, zu dem ich rufe.

bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage? Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch Du gibst keine Antwort; ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe.
Es ist Qual. Die Sehnsucht nach Gott besteht, das Gebet ist Kraft des eigenen Lebens geworden, und dann entzieht Gott Sein Gesicht, Seine Stimme, antwortet nicht mehr. Es ist ein bisschen, wie wenn man als Kind einen Brief an einen Freund geschrieben hat, der umgezogen ist, und keine Antwort bekam. So ähnlich, nur quälender. Und dauernder, denn den Brief an den Freund schreibt man einmal, dann schreibt man noch ein zweites und ein drittes Mal und gibt dann irgendwann traurig auf, vergisst den alten Freund, weil andere an seine Stelle treten. Mit Gott ist es nicht so. Ich ruf ihn weiter an, rede, bete, aber es kommt keine Antwort. Über Wochen und Monate, vielleicht Jahre - wer weiß? Es lässt mich nachts nicht mehr schlafen, es lässt mich am Tage verzweifeln.

Aber Du bist heilig. Du thronst über dem Lobpreis Israels.
Vielleicht eine Art Rechtfertigung: Was immer hier abgeht, und so wenig ich es auch verstehe: Gott ist größer als ich. Vielleicht hat es alles einen Sinn, den ich nur nicht verstehen kann?! Vielleicht ist es notwendig, dass ich mich von Ihm verlassen fühle, wie es auch notwendig war, dass der HERR am Kreuz allein und verlassen war. Nur eine vage Ahnung.

Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut, und Du hast sie gerettet. Zu Dir riefen sie und wurden befreit, Dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.
Vielleicht ist noch Hoffnung. Denn am Beispiel der Väter bzw. früherer Menschen, der Heiligen, kann ich sehen, wie vielen es so ging. Und dass sie selbst nicht erkannten, was wir von außen sehen: Dass Gott ihnen besondere Gnade verliehen hatte. Sie haben vertraut, und Er hat sie nicht fallen gelassen.

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet.
Die Frage - sehr persönlich, in dunklen Stunden aber sehr präsent: Bin ich vielleicht eine Ausnahme und wirklich verlassen? Werde ich nicht als Mensch behandelt, so wie ER nicht mehr als Mensch behandelt wurde, als Er am Kreuze hing?

Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf: "Er wälze die Last auf den Herrn, der soll ihn befreien! Der reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat."
Naja. Letzten Endes hat Gott ja auch Jesus herausgerissen, heraus aus dem Tod. Aber eben erst, nachdem er ganz unten war. Der Spott der Menschen war sehr real. Aber letzten Endes waren sie im Unrecht wegen der Auferstehung. Was das für mich heißt? Unschlüssig.

Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, mich barg an der Brust meiner Mutter. Von Geburt an bin ich geworfen auf Dich, von Mutterleib an bist Du mein Gott.
Was ich oben schonmal sagte. Er ist mein Gott. Das glaube oder weiß ich, auch in Dunkelheit und Leid. Egal, ob ich sage, ich kann nicht beten oder ob ich spüre, ich bin allein - Er bleibt mein Gott. Schon seit Kindheit und eigentlich immer, auch wenn es Phasen gab, in denen ich mich abgewandt hatte.

Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe, und niemand ist da, der hilft.
Wenn Er nun mein Gott ist, wird Er mich dann allein lassen? Immer wieder habe ich erfahren, dass ich allein nichts vollbringen kann - wie Er es auch in Joh 15,5 selbst gesagt hat. Wenn Er mir nicht hilft, bin ich verloren. Ich will nicht verloren sein. Bitte, bitte hilf mir, Gott!

Viele Stiere umgeben mich, Büffel von Baschan umringen mich. Sie sperren gegen mich ihren Rachen auf, reißende, brüllende Löwen.
Gefahren gibt es genug - und zwar ziemlich bedrohliche. Manche könnten mich von einer Minute auf die andere umbringen. Die wilden Tiere verbildlichen das sehr gut ...

Ich bin hingeschüttet wie Wasser, gelöst haben sich all meine Glieder. Mein Herz ist in meinem Leib wie Wachs zerflossen.
... und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin bewegungslos, handlungsunfähig, gefesselt, hinterrücks überfallen. Nicht einmal mein Herz kann sich mehr rühren, es ist beklommen und irgendwie zerstört.

Meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, Du legst mich in den Staub des Todes. Viele Hunde umlagern mich, eine Rotte von Bösen umkreist mich. Sie durchbohren mir Hände und Füße. Man kann all meine Knochen zählen; sie gaffen und weiden sich an mir. Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.
Eine Zukunftsvision, vor der ich große Furcht habe. Ich will gar nicht mehr dazu sagen.

Du aber, Herr, halte Dich nicht fern! Du, meine Stärke, eil mir zu Hilfe! Entreiße mein Leben dem Schwert, mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde.
Mein Schrei immer wieder - bei Tag, bei Nacht, dazwischen. Manchmal tausendmal hintereinander: Erbarme Dich meiner, o Herr! Manchmal das einzige Gebet, zu dem ich fähig bin.

Ich will Deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde Dich preisen.
Das ist das komische, was ich manchmal selbst nicht verstehe: Wenn ich mich am verlassensten fühle, wenn mir Gott am meisten fehlt, dann verkünde ich am innigsten, dann erzähle ich freudestrahlend von diesem Gott, der mir so viel geholfen hat. Dann rede ich mit Menschen, mit Freunden, über Gott und die Welt. Und dann bewege ich sie auch tatsächlich; die Früchte werden dann sichtbar.

Die ihr den Herrn fürchtet, preist ihn, ihr alle vom Stamm Jakobs, rühmt ihn; erschauert alle vor ihm, ihr Nachkommen Israels! Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut das Elend des Armen. Er verbirgt sein Gesicht nicht vor ihm; er hat auf sein Schreien gehört. Deine Treue preise ich in großer Gemeinde; ich erfülle meine Gelübde vor denen, die Gott fürchten.
Diese Verse sind für mich dreierlei. Zum ersten Zukunftsmusik, eine Art Vision. Zum zweiten aber auch meine Hoffnung, denn über das Eintreten bezüglich meiner aktuellen Situation weiß ich ja noch nichts, aber ich wünsche es mir sehr. Und zum dritten ist es, wenn ich mal meinen Verstand sprechen lasse, ein Erfahrungswert. Durststrecken hatte ich ja immer schon mal zu bewältigen, wenn auch nicht so lange und tiefe wie jetzt. Aber am Ende war mir immer klar, dass Gott auch auf diesen Durststrecken bei mir war. Vielleicht ist es das, was mich in meiner Hoffnung bestärkt, was mir das Vertrauen gibt, Ihn auch jetzt noch meinen Gott zu nennen: Das Wissen, dass Er mich noch nie enttäuscht hat. Das hilft auch mir, den Weg weiterzugehen, den ich mit Ihm begonnen habe.

Die Armen sollen essen und sich sättigen; den Herrn sollen preisen, die ihn suchen. Aufleben soll euer Herz für immer.
Das wünsche ich meinen Freunden und allen Menschen.

Alle Enden der Erde sollen daran denken und werden umkehren zum Herrn: Vor ihm werfen sich alle Stämme der Völker nieder. Denn der Herr regiert als König; er herrscht über die Völker. Vor ihm allein sollen niederfallen die Mächtigen der Erde, vor ihm sich alle niederwerfen, die in der Erde ruhen.
Das ist der Überschwang, der auch mich erfasst, wenn mir die Größe und Güte Gottes klar wird: Dann will ich Sein Wort neu verbreiten, damit Er allen bekannt wird, damit alle Ihm nahe sind, damit alle gemeinsam Ihn preisen. Über die Grenzen der Kontinente hinweg, über die Grenzen der Stände, und ja - auch über die Grenze zwischen Leben und Tod hinweg möchte ich, dass alle Gott preisen.

Meine Seele, sie lebt für ihn; mein Stamm wird ihm dienen.
Und deshalb werde ich gehen und Sein Wort verkünden - ich kann nicht anders.

Vom Herrn wird man dem kommenden Geschlecht erzählen, seine Heilstaten verkündet man dem kommenden Volk;
Ich glaube, dass auch in Zukunft das Christentum aktuell bleiben wird. 2000 Jahre jetzt, und es scheint mir noch nicht überholt.

denn er hat das Werk getan.
Schöner Bogenschlag zum Abschluss: Ich denke noch einmal daran, wie ich am Anfang über Leid und Klagen schrieb, über Tod und Bedrohung. Und darüber, dass Er bestimmt Seinen Grund dafür hat, dass Er Sich mir so entzieht. Am Ende werde ich es erkennen, wozu es gut war; dann werde ich Ihn preisen, denn Er hat das Werk getan.

1 Kommentar:

Doxadei hat gesagt…

"Meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, Du legst mich in den Staub des Todes. Viele Hunde umlagern mich, eine Rotte von Bösen umkreist mich. Sie durchbohren mir Hände und Füße. Man kann all meine Knochen zählen; sie gaffen und weiden sich an mir. Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.
Eine Zukunftsvision, vor der ich große Furcht habe. Ich will gar nicht mehr dazu sagen."

Von diesen Ängsten kenne ich was. Rechnen muss man mit allem. Beruhigen kann ich mich bei dem Gedanken, dass dieser Psalm frappierend vorhersagt, was an Jesus dann geschehen ist - ich also "nur" der bin, der hinterhergeht. Ich sehe seinen Rücken, brauche das nicht noch einmal durchzumachen, was er durchgemacht hat. Und bin dankbar. Und ruhig.