Montag, 9. Juli 2007

Pinguin guckt Kino: Full Metal Village

Letzten Mittwoch fragte mich meine Kommilitonin Wiebke (ihr Name verrät, dass sie wie ich aus dem schönsten Bundesland überhaupt kommt), ob ich mit ihr ins Kino gehen will - in "Full Metal Village", keiner will mit ihr da rein, ich bin ihre letzte Hoffnung. Als sie mir sagte, das sei ein Dokumentarfilm über Wacken, ein Dorf 17 km von Itzehoe [das spricht man mit oooooooo am Ende], da war ich erstmal skeptisch. Kein Schleswig-Holsteiner, der Wacken nicht kennt - und mittlerweile kennt auch Deutschland und die Welt Wacken. Zumindest vom Namen her. Das Heavy Metal Open Air überhaupt findet dort jedes Jahr statt. Naja, dachte ich mir, dann seh ich das wenigstens auch mal, und so ewig wird der Film ja nicht gehen.
Jetzt bin ich wieder in meiner Wohnung, voller Eindrücke. Manche waren lustig, manche stimmten mich wehmütig - so ein reifes Kornfeld zum Beispiel, da sage ich zu Wiebke: "Das sieht aus wie zu Hause", oder eine Koppel voller Kühe, da sagt Wiebke zu mir: "Das klingt auch wie zu Hause", genau wie ein paar rotierende Windräder; sowas kann schon Heimweh machen. Das ist unser Schleswig Holstein. Naja, gut, im Kino roch es nicht wie zu Hause. Das wäre auch etwas zu viel des Guten gewesen. Aber die Bauern dort, Platt snackend, sich um die Milchzusammensetzung Gedanken machend und in der Kneipe würfelnd, während die Frauen sich in der Volsktanzgruppe treffen. Wacken ist ein verschlafenes 1800-Einwohner-Dorf, wie es in Schleswig-Holstein dutzende gibt. Bis auf einmal im Jahr, am ersten Augustwochenende. Da wird Oma Irma ganz anders, und beim Kaffee erzählt sie von den vielen "Teufelsanbetern". Was passiert da jeden Sommer in diesem winzigen Ort am Kaiser-Wilhelm Nord-Ostsee-Kanal?
Da sind dann plötzlich 40.000 andere Leute dort versammelt, auf ein paar Kuhkoppeln. Die sind schwarz gekleidet und trinken mehr Bier am Tag als ich Wasser in der Woche. Die röhren und brüllen im Chor: "Wacken, Wacken, Feuerwehr!" Da ist dann gar nix mehr mit ein paar Leutchens, die in der Dorfkirche gemeinsam "Wer nur den lieben Gott lässt walten" singen, denn der Dorfpfarrer hat mitsamt seiner Frau in der Familienkutsche das Dorf verlassen. Genau wie Oma Irma, bei der man geradezu von einer zweiten Flucht - nach derjenigen aus Ostpreußen übers frische Haff, von der sie sehr bewegend berichtet - sprechen möchte. Ihre Enkelin Kathrin, 16, dagegen findet das Festival "gemütlich und friedlich". Aber ob das die richtige Ausdrucksweise ist? Ich nenne es nicht unbedingt "gemütlich und friedlich", wenn auf der Bühne einer steht und ins Mikro brüllt: "Are you ready to kill? Are you ready to kill each other?" - Und die Masse brüllt zurück: "Yeeeeeeeah!" Da ist mir schon anders geworden. Hatte Oma Irma doch Recht? Andererseits hat es echt eine gewisse Komik, als die Senioren des Dorfes auf der Bühne singen: "Einmal kommt der Tag, wo man Hochzeit macht im Holsteinland. Da wird die Sau geschlacht, da wird die Wurst gemacht, im schönen, herrlichen Holsteinland." - Wiebke und ich haben schön mitgesungen, und die Metaler auf der Kinoleinwand 'tanzten', schmissen ihre Haare durch die Gegend, freuten sich. Können solche Menschen wirklich "böse" sein? Ich glaub, denen ist das da vollkommen egal, was auf der Bühne gerade abgeht, ob sie gefragt werden, ob sie sich gegenseitig zu töten bereit sind oder der Sauwalzer zum Besten gegeben wird. Nein, so richtige Satanisten sind das auch nicht. Zumindest nicht die Masse der 40.000. Die wollen Spaß haben, was erleben, mal raus. Die sind auch nicht anders wahllos als der Bauer Trede, der ohne groß zu zögern erzählt, wenn man so lange verheiratet sei wie er, dann müsse man einfach ein, zwei junge Freundinnen haben. Das sei doch bei jedem so. Möchte nicht wissen, was nach Erscheinen des Films bei seiner Frau für bittere Tränen geflossen sind. Oder als Kathrin, die meint, sie würde schon ganz gern einfach mal eine Stunde im zweiten Weltkrieg sein, das einfach mal alles so echt sehen und ganz aus der Nähe, wie ihr Opa da steht und so. So prallen Kulturen aufeinander in Wacken, die irgendwie ganz unterschiedlich sind und sich vielleicht doch gar nicht bis ins letzte fremd.
"In Schleswig-Holstein ist die Welt noch in Ordnung", lese ich irgendwo in einem Kommentar zum Film. Wirklich? Ist sie das? Ich bin da nicht ganz so sicher. Auch da gibt es Leute, die meinen, die Polen und Türken sollten mal wieder nach Hause, damit die Deutschen Arbeitsplätze finden. Da muss man gar nicht nach Frankfurt (Oder) kommen, um solche Meinungen zu hören. Das gibt es auch in einem wunderschönen Dorf am Kanal, wo die reifen Kornfelder im Wind wogen und die Kühe auf der Koppel muhen. Wenn der Untertitel des Films "ein Heimatfilm" lautet und man liest, dass ihn eine Koreanerin gemacht hat, die seit 17 Jahren in Hessen lebt, dann passt das irgendwie zu dem Film. Am Ende wundert einen gar nichts mehr. Und schon gar nicht, dass nach "Wacken" sich das ganze Dorf einmütig zum Müllsammeln trifft.

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