Vielleicht haben wir es heute einmal geschafft. Es könnte uns tatsächlich gelungen sein. Wir haben Bettlaken bemalt und aufgehängt. Wir haben uns gesammelt und organisiert, wir sind durch die Gegend gelaufen und haben Fähnchen geschwenkt, haben in unsere Trillerpfeifen gepustet und getrommelt, wir haben einen Kranz am Synagogengedenkstein niedergelegt. Wir haben uns die Beine in den Bauch gestanden, als wir warteten. Haben überlegt, wo der beste Platz ist, um uns zu präsentieren. Wir haben gewartet, gewartet und nochmal gewartet, auf die mickrigen 200 NPD-Anhänger, die hier gegen den CDU-Landesparteitag demonstrieren kamen. 1000 Leute waren wir, vielleicht auch 1400, da sind sich die Medien noch nicht ganz einig. Sind es wohl nicht gewöhnt, solche Menschenzahlen schätzen zu müssen. Jedenfalls waren wir ziemlich viele für eine Stadt, die fast nur negative Schlagzeilen macht, die erst im November mit einem von Jugendlichen geschändeten Synagogengedenkstein bundesweit die Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Wir waren viele; es waren aber auch alle da. Ca. 150 Studenten, die Antifa, die Parteien, die Gewerkschaften, kirchliche Gruppen; auch aus unserer Kirchengemeinde habe ich so manchen getroffen. Man begrüßte sich, wechselte ein paar Worte, ging weiter. Und wartete auf die NPDler. Und wir haben uns tatsächlich die Beine in den Bauch gestanden. Zwischendurch nach Hause gehen war nicht - die Polizei ließ uns nicht mehr weg. Fünf Minuten müssten wir uns jetzt noch gedulden, dann wär der NPD-Zug durch. Natürlich dauerten die fünf Minuten fast eine Stunde, aber man hatte sich ja darauf eingestellt, schließlich war man zum Demonstrieren gekommen. Endlich kamen sie; die FDP ließ Herzchen-Luftballons aufsteigen, die Antifa warf Schneebälle auf den kleinen Demonstrationszug, die breite Masse skandierte "Nazis raus". Von der Studierendenschaft hatte jemand ein NPD-Pflichtlied umgedichtet, Texte kopiert und verteilt, aber das mit dem Gesang war nicht so der Bringer. Ob die NPDler überhaupt mitbekommen haben, dass auf ihre Melodie ein anderer Text gesungen wurde? Jedenfalls haben wir sie überönt, denn laut waren wir allemal - um ein vielfaches lauter als sie. Mancher war traurig, dass die Polizei doch recht gut in der Lage war, die Gruppen getrennt zu halten - andere waren eher froh. Ich gehörte zu letzteren. Für uns Studenten unerträglich war, dass eine NPD-Kundgebung auf einer Kreuzung stattfand, die wir zu unserem Campus zählen - direkt zwischen den Gebäuden unserer internationalen Uni, auf die wir so stolz sind. Wir konnten nichts dagegen tun. Auf unserem Campus, auf dem Studenten aus 70 Nationen sich begegnen und zu Freunden werden, demonstriert die NPD. Schade, dass wir das nicht verhindern konnten. Was wir aber auf jeden Fall verhindern konnten, ist dass die NPD-Anhänger sich willkommen fühlten. Sie dürften gemerkt haben, dass hier genug Menschen sind, die sich ihnen entgegenstellen. Vielleicht haben wir damit ja was bewirkt. Und vielleicht ...
Vielleicht ist es uns heute mal gelungen, Deutschland zu zeigen, dass Frankfurt (Oder) nicht braun ist, jedenfalls nicht ausschließlich. Vielleicht. Aber vielleicht ist heute auch anderes "wichtiger", und wir schaffen es nicht einmal bis in die Abendnachrichten. Dann müssten wir damit zufrieden sein, dass wir wissen, dass unsere Stadt auch anders kann.
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vor 4 Stunden
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