Samstag, 13. Januar 2007

Hostienbetrug

Das scheint Mode zu werden: Nach Ernst-Ewald Roth ist nun schon zum zweiten Mal in diesem noch jungen Jahr ein Wiesbadener Stadtdekan in den Schlagzeilen. Wie der Hessische Rundfunk berichtet, machten Gottesdienstbesucherinnen den zelebrierenden Johannes zu Eltz darauf aufmerksam, dass ein Mann die Hostie nach dem Empfang nicht verzehrt, sondern in die Innentasche seiner Jacke gesteckt hatte. Daraufhin habe jener versucht, den Kirchenbesucher am Mitnehmen des Allerheiligsten zu hindern; es sei dabei zu einem Handgemenge gekommen, der Pfarrer habe auch einen "Polizeigriff" angewandt. In einem anderen Bericht lässt der Hessische Rundfunk auch das "Opfer" Thorsten R. (nachfolgend R. genannt) zu Wort kommen: Er habe die Hostie in die linke Innentasche seiner Jacke gesteckt, um nach der Messe zu untersuchen, was das ist. Komisch kommt mir persönlich bei der Sache vor, dass der R. angibt, früher einmal evangelisch gewesen zu sein. Wenn das so ist, sollte ihm ja das "Abendmahl" ein Begriff sein, in dem Brot als "Leib Christi" bezeichnet wird und nach außen hin trotzdem aussieht wie Brot. (Und das unabhängig davon, wie die jeweilige Gemeinde es mit der Transsubstantiation hält.)
Sei es, wie es sei - nach dem Gottesdienst ging der R. verletzt (Prellungen und ein "dicker Knöchel") zur Polizei und erstattete Anzeige wegen Körperverletzung und Nötigung. Auf der anderen Seite wird von Amts wegen wegen Störung des Religionsfriedens und versuchter Körperverletzung ermittelt. Außerdem weist die Presse stets darauf hin, dass es sich beim "Diebstahl einer Hostie" um eine schwere Sünde handele. Hier wird es für mich juristisch endlich einmal interessant: Wie steht es um die Strafbarkeit (nach staatlichem Recht) wegen des Einsteckens der Hostie?
Prüft man einen Diebstahl nach § 242 Abs. I StGB,

"Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird [...] bestraft."

so untersucht man nach der Feststellung, dass die Hostie - aus staatlicher Sicht - eine Sache ist, die der Kirchengemeinde gehört, also für den R. fremd ist, ob die Hostie weggenommen wurde. Wegnahme ist der gängigen Definition zufolge "der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams". Gewahrsamsbruch - hier wird es problematisch - heißt, dass die tatsächliche Sachherrschaft des berechtigten Gewahrsamsinhabers gegen (oder zumindest ohne) seinen Willen aufgehoben wird. In den Berichten klingt es aber so, als habe der Stadtdekan den Gewahrsam an der Hostie selbst an den R. übertragen, indem er sie ihm (vermutlich mit den Worten "Der Leib Christi!") in die Hände legte. Also kein Gewahrsamsbruch, demzufolge kein Diebstahl.

Als Juristin werde ich bei solchen Fällen, die prima facie nach Diebstahl aussehen, denen es aber dann am Gewahrsamsbruch fehlt, immer ganz hibbelig. Ich fange an zu sabbern und denke "Betrug, Betrug, Betrug!". Der Gesetzgeber teilt uns in § 263 Abs I StGB mit:
"Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird [...] bestraft."

Wir prüfen (etwas vereinfacht):
    Vorspiegelung falscher bzw. Entstellung/Unterdrückung wahrer Tatsachen: Positiv - jedenfalls wenn man meine obigen Ausführungen über das Wissen des R. von der Natur des "Abendmahls" als gegeben voraussetzt. R. spiegelte durch das Vorgehen zum Austeilungsort und das Hinhalten der Hände vor, die Hostie verzehren zu wollen, also an der Eucharistiefeier wie allgemein in der katholischen Kirche üblich, teilnehmen zu wollen.

    Erregung eines Irrtums: Positiv. Stadtdekan zu Eltz meinte, der R. wolle an der Eucharistiefeier wie vorgesehen teilnehmen. Wäre er diesem Irrtum nicht unterlegen, hätte er dem R. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Hostie nicht gegeben.

    Dadurch Vermögensschädigung: Zu diskutieren, denn über den Vermögenswert einer Hostie kann man streiten. Aber wohl positiv, denn zum einen sind konsekrierte Hostien auf dem schwarzen Markt wohl eine Menge wert (Satanisten sollen daran ja ihre Freude haben), zum anderen kommt es aber auf den Wert auch sowieso nicht an - selbst wenn es sich nur um einen halben Cent handeln sollte, denn auch der ist "Vermögen".

    Absicht, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen: Positiv. R. wollte die Hostie haben, egal, was er dann damit vorhatte.

    Vorsatz: In Hinblick auf die oben diskutierte mutmaßliche Kenntnis der Natur des "Abendmahls": Wohl positiv.

    Rechtswidrigkeit: Positiv.

    Schuld: Ebenfalls in Hinblick auf mutmaßliche Kenntnisse: Positiv.

Insofern liegt ein weiterer Straftatbestand vor. Sehr nett - ob das außer mir jemanden interessiert, weiß ich zwar nicht, aber immerhin mich interessiert es. Denn das dürfte dem Stadtdekan, falls es zu einer Verhandlung kommen sollte, durchaus als weiteres notwehrfähiges Gut helfen, sich zu verteidigen. Das heißt, er ist dann in Notwehr nicht nur gegen die Störung des Religionsfriedens vorgegangen, sondern auch noch gegen den Betrug. Mit Betrug können die meisten Richter auch heutzutage mehr anfangen als mit der Störung des Religionsfriedens.

Als abschließenden, unjuristischen Kommentar hab ich noch folgendes (für die eher religiös-theologisch interessierten Leser): Dieses Ereignis stärkt in mir den Wunsch nach Kommunionspendern, die den Leib des Herrn nur gegen ein deutliches "Amen." herausrücken.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ja, zutreffende Subsumtion, mE.

Weswegen allerding auch gegen den Herrn Stadtdekan ermittelt wird, erschließt sich mir nicht.

Und wie ist die Rechtslage, falls die Hostie unberechtigt (in schwerer Sünde) empfangen wird? Kenntnis ob der mangelnden Berechtigung seitens des Empfängers vorausgesetzt?

Herzl. Gruß.

Anonym hat gesagt…

Wer das Haus eines Fremden betritt, sollte wenigstens wissen, wie er sich zu benehmen hat. Das ist das eigentliche Vergehen von Thorsten R.: Daß er sich - seinem Verhalten nach zu beurteilen - nicht über die Rituale eines katholischen Gottesdienst informiert hat. Ihm Betrug oder - abstruser noch - Diebstahl vorwerfen zu wollen, oder zu glauben, ein solcher Fall könne vor dem Gericht zu einer Verurteilung führen, ist vollkommen weltfremd. Aber Weltfremdheit scheint der Fall zur Oberfläche befördern zu wollen. Das Vergehen des Wiesbadener Pfarrers hingegen ist gravierend. Er beweist außerdem wie nahe Gewalt und Fundamentalismus auch in einer christlichen Gemeinde unter der Oberfläche lauern können. In diesem Fall möchte man zwar das Verhalten des Vertreters der Kirche nicht mit den iraqischen Fanatikern vergleichen, doch die Aussage: "Für die Hostie würde ich mich notfalls umbringen lassen", läßt die Frage doch mindestens offen, ob die gleiche Person nicht auch für die Hostie u. U. töten würde. In jedem Fall sollte der Betreffende - der vor Körperverletzung und Freiheitsraub nicht zurückschreckt - von allen kirchlichen Ämtern und Würden zurücktreten, wenn er eine glaubwürdige Reue zeigen möchte.

Amica hat gesagt…

Mein lieber Alan Stern,

Erstens: Mir geht es gar nicht darum, ob der R. von einem Gericht verurteilt wird. Dass wegen Störung des Religionsfriedens gegen ihn ermittelt wird, hat er sich selbst zuzuschreiben, denn durch seine Anzeige gegen Stadtdekan zu Eltz hat er die Ermittlungsbehörden auf seine Tat erst aufmerksam gemacht; ich nehme nicht an, dass diese davon sonst Kenntnis erlangt hätten. Da sie aber nun einmal Kenntnis erlangt haben, müssen sie von Amts wegen ermitteln. Und was ich aufzeigte, war nur, dass der Stadtdekan gerechtfertigt war, weil er in Notwehr einen rechtswidrigen Angriff abgewehrt hat. Auf gut deutsch heißt das: Er durfte den R. festhalten. Es kann ihm nicht vorgeworfen werden. Dass nach dem Strafgesetzbuch Betrug des R. vorliegt, habe ich ja ausführlich begründet - und ob Du das nun gut findest oder nicht, ist herzlich egal. Und auf die Frage, ob es zu einer Verurteilung des R. kommt, hat "die Kirche" auch gar keinen Einfluss, das ist nämlich eine Sache des Staates. Und wenn Du das Strafrecht und den Staat an sich weltfremd findest - bittesehr. Aber das wird den Staat wohl herzlich wenig interessieren.

Zweitens: Nett finde ich insbesondere Deine Rücktrittsforderung. Sie entbehrt jeglicher Grundlage, und die vage Vermutung, der Stadtdekan könnte eventuell bereit sein, für den Schutz des Allerheiligsten (!!! - ja, das ist es für uns Katholiken, und das muss man sich bei dieser Diskussion auch vor Augen führen) töten zu wollen, rechtfertigt eine derart absurde Forderung in keiner Weise. Vielmehr empfinde ich sie als aus der Luft gegriffen und überzogen. Zur Begründung noch einmal: Nach deutschem Recht war Stadtdekan zu Eltz sowohl für die Körperverletzung, die im übrigen auch wesentlich schwerer hätte ausfallen können, als auch für den Freiheitsraub gerechtfertigt. Er hätte den Mann auch festhalten können, bis die Polizei eintrifft, und ihn dann auf den Besitz der konsekrierten Hostie untersuchen lassen, und wenn sich der R. dagegen gewehrt hätte, hätte man ihm durchs Festhalten auch noch weitere Verletzungen zufügen können. Auch das wäre durchaus rechtmäßig gewesen. Davon ist hier aber keine Rede. Dafür, dass der R. - wie Du ja selber festgestellt hast - es versäumt hat, sich über das angemessene Benehmen in einem katholischen Gotteshaus zu informieren und sich dadurch strafbar gemacht hat (was nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit "eine Strafe bekommen" ist), sind die ergriffenen Maßnahmen sogar ziemlich milde. Und jetzt komm mir nochmal mit "Fundamentalismus" und "Gewalt unter der Oberfläche" ...